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MENSCHENBILDER
Stellen zwei Künstlerinnen gemeinsam aus, ist man als Laudator versucht, das Verbindende zwischen ihnen auszumachen. Bei Heike Adner und Gisela Neuenhahn war das nicht schwierig, ist doch die Figur des Menschen der Kulminationspunkt in ihrem Werk. Beiden Künstlerinnen ist wichtig, die Sinne der Betrachter durch ihre Bilder anzusprechen. Für beide ist der Mensch nicht nur in seiner körperlichen Realität wichtig, sondern auch in seiner seelischen Vielschichtigkeit. Eine perfekte, genaue Nachahmung der „Realität“ ist also nicht ihr Ziel, stattdessen suchen sie seelischen und Bewusstseinszuständen eine Form zu geben. Sowohl Heike Adner als auch Gisela Neuenhahns Darstellungen des menschlichen Körpers mutieren zum Modellfall für Orientierungssuche, zu Sinnzeichen unseres Daseins in einer Welt, die sich gerade wieder einmal anschickt, aus den Fugen zu geraten. So sind es vorzugsweise Frauenfiguren, die Rückzug in die Innerlichkeit, in den verborgenen Teil der Persönlichkeit Gestalt annehmen und zu ambivalenten Zeichen der Bedrohung und des Verlustes werden.
Gisela Neuenhahn verwirklicht in ihrem lyrisch gestimmten Werk ganz eigene Vorstellungen von Form, von Poesie und Grazie. Weil es ihr wichtig erscheint, die eingangs erwähnte sinnliche Komponente anzusprechen, nutzt sie den menschlichen Körper als Medium, um die Themen Lust, Schmerz, Verletzlichkeit und Stärke zu versinnbildlichen. So ist der Akt ist in ihrer Malerei zum bildnerischen Topos geworden. Darüberhinaus visualisiert sie mit ihren Aktdarstellung auch krisenhafte Zustände allgemeiner Natur und vergewissert sich mit Selbstbildnisses der eigenen Position innerhalb eines sich ständig verändernden Weltgefüges. Es ist das alte Wechselspiel zwischen Angezogensein und Abgestoßensein, zwischen Zusammengehörigkeit und Einsamkeit, das sie sowohl intuitiv als auch reflektiert in Motive überträgt, die ihrer Gefühlswelt am nächsten kommen. Es sind keine idealisierten Akte, die aus dichten Farbräumlichkeiten auftauchen, eher schon einem Zwischenreich zugehörige Protagonisten menschlichen Liebens und Leidens, die zum äußeren Ausdrucksträger innerer Zustände geworden sind. Mit rein malerischen Mitteln versucht sie, ihre Erfahrung erlebter Wirklichkeit in rhythmisch gesetzte, auf den Körper bezogene und ihn markierende Zeichensprache zu übertragen. Vor nicht lokalisierbaren Hintergründen, die gleichermaßen als fiktive Landschaft wie als seelisches Interieur in Frage kommen, erscheinen die Figuren in einer Art Schwebezustand der Realität enthoben. Eine Realität, in der Gisela Neuenhahn gegen das Verschwinden der Liebe aus der Welt anmalt. Wie in den figürlichen Darstellungen erfolgt auch in der Landschaftsmalerei die Zurücknahme der Form zugunsten der Farbe. In dieser spezifischen, mit expressiven Komponenten aufgeladenen Stimmungsmalerei, löst sie die Konturen der gegenständlichen Vorbilder auf und wandelt sie in strukturierte Farbklänge um. Jenseits von dokumentierendem Charakter verzichtet sie sowohl auf die malerische Nachbildung von Naturereignissen, auf topografische Wiedererkennbarkeit und auf tiefenräumliche Gestaltung. Häufig tauchen von einer kraftvollen Palette bestimmten Farblandschaften phantastische Mischwesen auf, die Eingang in die neutralen, von einer kraftvollen Palette bestimmten Farblandschaften finden. Diese stillen, empfindsamen und zugleich rätselhaft aufgeladenen Landschaften sind frei von Nebensächlichkeiten und entsprechen so ganz Gisela Neuenhahns Wunsch nach einer unzerstörbaren friedvollen Natur.
Mit den vom Erlebnis des Modells und der grafischen Beherrschung der menschlichen Figur inspirierten Zeichnungen zielt Gisela Neuenhahn auf eine sinnliche Ebene klassischer Harmonie. Die meist weiblichen Akte erscheinen in ihrem körperlichen Volumen als langgezogene und nicht unterbrochene schwarze Konturlinien auf weißem Grund. Die mit wenig Strichen belebte Binnenform ist zurückhaltend strukturiert, während die räumliche Umgebung unberücksichtigt und leer bleibt. Gisela Neuenhahn beweist hier einmal mehr ihre hohe Sensibilität für die Befindlichkeit ihrer Modelle wie für die ästhetische Eigenwirkung grafischer Mittel. So schafft sie mit ihren reduzierten, schwarz-weißen Aktdarstellungen so etwas wie eine sinnbildhaft verbundene Bilderkette, in der Eros und Tod ihre Wirkung entfalten können und - die als Ausdruck skeptischer Lebenssicht und vom Wissen um die Vergänglichkeit alles Irdischen künden.
Auch Heike Adner geht vom Menschenbild als wiederkehrendem Motiv aus. Die Ausstellung konzentriert sich auf Figur, Torso und Kopf wobei gerade der Kopf in seiner konzentrierten Form mit den vielfältigen Möglichkeiten das Gesicht plastisch zu gestalten, zu den bevorzugten Themen ihrer auf das Wesentliche konzentrierten Bildhauerei gehört. Die Künstlerin zeigt einmal mehr, wie unerschöpflich das Thema Menschenbild ist, wenn sie, was nicht selten geschieht, kulturelle Archetypen des Mittelmeerraumes auf ihre sinnbildhafte Verwendung in ihre Arbeit einbezieht. Fast hat es den Anschein, als ob die Winckelmann´sche Maßgabe "edle Einfalt und stille Größe" der antiken griechischen Kunst als Kontrast zu den lauten Äußerungen der Gegenwart Gestalt angenommen hätte, dass die Erinnerung archaischer Vorbilder, wie sie sich in den ruhigen, entspannten, fast reglosen Physiognomien und im strengen statuarischen Stil wiederfinden, in Kombination mit einem sehr heutigen Lebens- und Ausdrucksgefühl jene zeitlose Schönheit und Modernität bedingen, die Heike Adners Arbeiten auszeichnen. Seit dem Studium in Berlin-Weißensee liebt Heike Adner die sinnlich-haptische Oberflächenstruktur zwischen glatt und schrundig des amorphen Materials Ton, den sie, um den Ausdruck zu intensivieren, häufig partiell farbig fasst. Dabei vermeidet sie alles, was den Eindruck einer massiven Form erzeugen oder deren unabhängiges autonomes Eigenleben beeinträchtigen könnte. Wenn ich gezwungen wäre, Erkennungsmerkmale ihrer Plastiken zu nennen, dann würde ich von überzeitlichen und zugleich anmutig gegenwärtigen Figuren sprechen, die keine Geschichten erzählen wollen, sondern eher als Hüter von Geheimnissen ihre Aura entfalten. Und von der kontemplativen Stille, welche die feinen, häufig überlängten Gestalten und Porträts umgibt und die mich im Moment des Innehaltens gefangen nehmen.
Heike Adner strebt nach ruhiger ausgeglichener Komposition. Sie vermeidet alles, was den Eindruck einer massiven Form erzeugen könnte und bleibt auch bei Gesten und narrativen Details, wie bei den Terrakotten Traum und Kleine männliche Büste in der Andeutung. Das lässt die Figuren rätselhaft und in sich gekehrt erscheinen und beeinflusst von daher maßgeblich die Züge einer verträumt melancholischen Innerlichkeit, die zum Träger von Ideen, Stimmungen und Gefühlen wird. Andere plastische Akzente setzt sie in den Bronzen, wobei die mit Blick auf die Terrakotten angesprochene Entrücktheit ersetzt wird durch die Lebendigkeit der Form und das Spiel mit Attributen wie Granatapfel, Spiegel, Ball oder Fisch. Die Fähigkeit alltägliche Szenen plausibel, aber gleichzeitig mit einer präzise gebildeten Formensprache zu verbinden, ist eine weitere Kennzeichnung der Plastiken Heike Anders. Ende der gut gemeinten Worte.

Herbert Schirmer, Rede zur Eröffnung der Ausstellung MENSCHENBILDER in der Galerie Güldener Arm in Potsdam (11.11.2018, 15 Uhr)
Heike Adner (Plastik) & Giesla Neuenhahn (Malerei und Zeichnung

Galerie "Güldener Arm" in der Elfflein-Straße 3 in Potsdam

Laudator: Herbert Schirmer
 
 
 
kontakt: herbert.schirmer@web.de